Zweite Welten
Reale und irreale Parallelsysteme



Mancherorts sind die Grenzen zwischen dem Realen und dem Imaginären nicht gerade eindeutig. Das, was sein könnte, ist in vielen Kulturen ebenso konkrete Kraft wie das, was ist. Dann sind die Geister der Verstorbenen und des Vergangenen keine Metapher für Erinnerung, sondern wirkmächtige Gegenwart. Eine zweite Welt, die gar nicht parallel ist, sondern die erste großflächig überlappt.
Der steirische herbst nimmt das Konzept zweiter Welten als Metapher für gedankliche Alternativen, als Hebel für Paradigmenwechsel. Den Blick, die Parameter etwas verschoben und schon geraten die Dinge ins Rutschen: Den Fokus anders eingestellt, das Klare verschwimmt, das Verschwommene wird klar und wir erkennen andere Strukturen, andere Schichten, andere Wirklichkeiten. Die erste und die zweite Welt werden zum Vexierbild – und ihre Reihenfolge wird unklar.
Denn Parallelwelten sind nicht nur das Steckenpferd von Utopisten. Sie sind auch ein effizientes Werkzeug der Logik und neuerdings in der Philosophie des speculative realism: Es geht weniger darum, Tatsachen zu fixieren, als die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es immer auch ganz anders sein könnte.
Auf ganz andere Weise hat beispielsweise in afrikanischen Kulturen das Jenseits sehr konkrete Züge: schicke Autos und viel Blingbling – nicht zufällig schaut in der Armut die Zweite Welt so aus, wie man sich Europa aus der Ferne vorstellt. Umgekehrt übersieht man in unseren Breiten gerne Parallelwelten, die ebenfalls wirklich sind: Obdachlose, Migranten, wer auch immer in unserer Produktions- und Verwertungskette keine Rolle spielt.
Zwischen philosophischen Denkfiguren, die zweite Welten zumindest im Kopf ermöglichen, zwischen den ästhetischen Möglichkeiten des Fokuswechsels und den konkreten, politischen Implikationen von Parallelgesellschaften und Menschen, die durch unser Wahrnehmungsraster fallen, sucht der steirische herbst 2011 nach den Geistern, die uns umgeben, mit denen und durch die wir denken.



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