Der Standard - 29.09.2011

Eine andere Politik ist möglich

Der Steirische Herbst will mit seinem heurigen Motto "Zweite Welten" alternative Denkweisen anregen. Viele Grazer Ausstellungen greifen das Thema auf, zeigen den Status quo, öffnen aber auch Horizonte: ein Rundgang.



Zu Tausenden gingen Bürger diesen Frühling in Graz auf die Straße, um für eine Alternative zum strengen Sparkurs der Landesregierung zu demonstrieren. Das geflügelte Wort der "anderen Welt", die möglich ist, lag in der Luft. Die lokale Kunstszene war und ist aktiver Teil der Protestbewegung. Umso passender scheint das diesjährige Generalthema des Steirischen Herbstes, Zweite Welten , an dem man freilich schon Monate zuvor zu basteln begann.

Bei einem Ausstellungsrundgang trifft man auf verschiedenste versteckte, vernetzte, unsichtbare "zweite" Welten, die parallel zur offiziellen, öffentlichen Welt existieren. Die Ausstellung Abgehoben - Künstlerische Positionierungen zu Netzen der Macht im Kunstverein Rotor widmet sich den mächtigen, manchmal verdeckt, oft zumindest unbeachtet werkenden Seilschaften, die hinter dem Vorhang der Demokratie die Fäden ziehen. Das Bekanntwerden von immer mehr Korruptionsfällen in den letzten Monaten mag die Lesart der Arbeiten durch die Betrachter noch geschärft haben.

   Fallen schnappen zu ...

Gleich im Eingangsbereich wartet eine riesige, halb im Raum schwebende Falle, die wie eine Bananenkiste in der Größe eines Carports nur darauf wartet, zuzuschnappen. Doch Elvedin Klacars Installation Catching Big Birds symbolisiert eine Falle, die sich langsam und unbemerkt schließt, bis alle festsitzen. So wie im Parlament beschlossene und von Lobbyisten im Hintergrund vorbereitete Gesetze langsam das Leben aller beschneiden.

Katrin Plavcaks Wandbild The Monster Galaxy stellt die Akteure im Geflecht von Macht und Geld als comichafte Kreaturen dar, Libia Castros und Ólafur Ólaffsons Video führt in die Welt der Lobbyisten ein, das Kollektiv G.R.A.M. porträtiert in seinen Reenactments internationale Banker. Für Aufsehen sorgte die genau recherchierte Arbeit Graz_Underground , für die ein anonymer Künstler alle rechten, rechtskonservativen und rechtsextremen Institutionen wie Parteizentralen, Burschenschaften oder auch Verlage in Graz mit einem virtuellen U-Bahn-Netz verband. Das Resultat ist ein erstaunlich dicht verwobenes Netz.

Auch die Kunst agiert freilich nicht frei und unabhängig. Josef Schützenhöfers raumfüllendes Porträt des Kunstsammlers Karlheinz Essl und seiner Gattin ist ein Seitenhieb in Öl auf das Mäzenatentum Österreichs.

Die "Kunst" des Politikmachens wird oft von Leuten von zweifelhafter Bildung und Motivation betrieben. Dass Pragmatismus und Ignoranz gegenüber den Ansprüchen einer Demokratie die Politik ad absurdum führen, zeigt auch die Ausstellung Communitas. Unter anderen der Camera Austria: Oft wird das Politische in der Kunst wirklichkeitsnäher verhandelt als unter Berufspolitikern.

Ausgangsfrage war, wie ein gemeinschaftliches Miteinander ohne reflexhafte Feind- und Freundbilder vorstellbar ist und auf welche Voraussetzungen diese Vorstellung trifft. Die Videos des polnischen Künstlers Artur Zmijewski - eines über die uneingelösten Utopien des Bauhaus, ein anderes über den offenen Antisemitismus in Polen - umreißen den Denkraum der Schau sehr klar. Dort hinein passt zuerst Yael Bartanas provokanter Aufruf zur Rückkehr der Juden nach Polen: Mary Kozmary . Dieses Video ergänzt eine Fotoserie, die das Bild des "Neuen Menschen" zur Gründungszeit Israels neu befragt.

Im Gegensatz dazu steht die dokumentarische Fotoserie Blikkiesdorp von Laurence Bonvin. Sie zeigt ein Containerlager nahe Kapstadt, in das unliebsame Bevölkerungsteile anlässlich der Fußball-WM 2010 verfrachtet worden sind. Zum Selbstzweck gewordene Machtpolitiken treiben auch Rabih Mroué an, immer wieder in die politischen Grauzonen seiner Heimat Libanon einzudringen. Noiseless nennt er seine Arbeit über das lautlose Verschwinden von Personen im Land.

   ... Horizonte öffnen sich

Wie weit die geistigen Horizonte sind, hat auch mit der kollektiven Identität der Gesellschaft zu tun, in der man lebt: Die Ausstellung Public Folklore im Grazer Kunstverein untersucht einmal nicht die identitätsstiftende Kraft der Politik, sondern jene der Kultur - genauer gesagt der Volkskultur. Ist Folklore untrennbar mit Nationalismus verbunden? Welche Wertesysteme und Weltbilder entstehen durch sie? Zum Beispiel das kleine bulgarische Bergdorf Kovachevits: Für dieses gilt "Ohne Moos nichts los", und es ist folglich ziemlich verfallen. Eine "Ursprünglichkeit", die es (oder das Klischee davon) zu einer prächtigen Filmkulisse macht. Zwischen 1977 und 2005 entstanden zwölf Filme voller Heimatromantik und zweifelhafter Politik.

Es ist ein ganzes ABC zur Folklore geworden, das dem Besucher einen ambitionierten Parcours abverlangt. Dokumentarisch und interventionistisch sind etwa zwei Arbeiten von Christian Philipp Müller zum Thema Loden: In Bad Aussee versuchte er, den Gesetzen des Walkstoffs auf den Grund zu gehen, in der Ramsau funktionierte er das Kultkleid zu einem kollektiven Gewand für 20 Personen um - einen Lodenfüßler.

Insbesondere der Tourismus schwört auf Folklore: Public Branding nennt sich das, wenn ganze Regionen ein kollektives, ökonomisch verwertbares Image erhalten. Ein solcher Markenspezialist gibt als Credo aus: "Wir kreieren keine Logos. Wir branden Menschen."

(cms, kafe, ploe)
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