Der Standard - 26.09.2011

Glücklich sein im Erdäpfelland



Der Steirische Herbst war am ersten Wochenende noch ein steirischer Sommer. Die Gassen des Festivalbezirks waren nach Mitternacht dicht mit Gästen gefüllt, die bei lauen Temperaturen zwischen dem Konzert der Screaming Females und dem großzügigen Outdoor-Mobiliar auf der Mariahilfer Straße hin- und herwechselten. Wer am Samstag die ab zehn Uhr im Stundentakt eröffneten Ausstellungen besuchte, war um diese Uhrzeit einer Sitzgelegenheit nicht abgeneigt, und dessen Blick konnte sich dann auch leicht in den meterhohen Leuchtschriften an den Häuserfassaden verlieren, mit denen Maruša Sagadin ein wenig San-Francisco-Flair an die Mur brachte.

Mit ruralen Implikationen spielte zuvor die schwedische Choreografin Gunilla Heilborn. Doch auch das ist - wie das Grazer San Francisco - eine Ironie: In Potato Country tritt eine Moderatorin zwar in (schwedischer?) Tracht vor das Publikum und erzählt irgendwann später vom scheinbaren Glück des einfachen Lebens als Erdäpfelbauer, doch die Performance entledigt sich dann jeder Zuschreibung - und das machte sie interessant.

Potato Country ist ein Abend, an dem sieben Tänzer in Stonewashed-Jeans und dicken, grauen Wollsocken sich in einander überlagernden choreografischen, literarischen und musikalischen Sequenzen fragen, was "Happiness" sein soll. Bist du glücklich (schwedisch: lycklig)? Begleitet von Pantomimen oder im getanzten Duett werden Tagesabläufe kurz erzählt oder die Freundin höflich interessiert auf beschwerliche Dienstreisen angesprochen. Oder aber es wird nach den unglücklichsten Zeiten schlechthin gefragt: nach dem Krieg in Ex-Jugoslawien. Prompt! Diese Performance will nicht unpolitisch sein. Im Refrain geht es dann auch um die gegenwärtige Entwicklung Chinas und generell die Frauenrechte.

Die Performancegruppe bringt banale Befindlichkeiten mit Weltgeschichte in Verbindung, wie nebenher, aber raffiniert und nachdrücklich. Manchmal glaubt man, sie persiflieren damit auch ihre eigene lahme (politische) Haltung.

Die in Röhrenjeans oder in langen Jeansröcken steckenden Körper (das Styling ist echt "schwedisch") bewegen sich als synchrone Gruppe oder im Duett, sie zitieren Ballett oder Squaredance, und aus den Bewegungen heraus entwickeln sich immer wieder irrlichternde Gesänge, die von Glück (Unglück) handeln. Nicht zuletzt mit dieser - im Dom im Berg - betörend inszenierten Musik des norwegischen Elektronikers Kim Hiorthøy zeigte die außerhalb Schwedens so gut wie unbekannte Choreografin und Filmemacherin Gunilla Heilborn, welche Sorgfalt notwendig ist, um künstlerische Positionen klar zu machen.

   Melodien des Lebens

Dem Theater im Bahnhof würde man von dieser Sorgfalt mehr wünschen. Die jüngste Produktion der Grazer Theatergruppe, Time to get ready for love , darbt eineinhalb Stunden lang an nur einer Idee: Ein Männerquartett in blau schimmernden Anzügen liefert ein dekonstruktivistisches Musterbeispiel einer Songperformance. Getarnt als Lecturedemonstration mit Unterrichtstafel treten die Herren samt Bierflaschen an, um von den Liedern ihres Lebens jeweils nur den gesprochenen Songtext darzubringen. Das zeitigt ein paar sehr gute Momente, wenn etwa Lorenz Kabas versucht, mit Jacques Brels Höllentempo beim Reiselied Vesoul mitzuhalten oder wenn Jacob Banigan zu den Violent Femmes tanzt. Doch die eigentliche Idee des "Sichtbarmachens" von Musik blieb unausgearbeitet.

Margarete Affenzeller
wukonig.com