Salzburger Nachrichten - 23.09.2011

Zappen zwischen den Welten

"steirischer herbst": Ausstellung "Zweite Welt" lädt zur Überprüfung der Realität



Eine Bohrstation mit Ähnlichkeiten zu einem U-Boot, aber mit Krallen? Ein seltsames Fischwesen mit einer Baggerschaufel als Schwanzflosse? Es sind surrealistische Geschöpfe, die von der ägyptischen Künstlerin Mona Marzouk in schwarzer Farbe auf goldgelbe Wände gepinselt werden. Organische und technologische Formen gehen eine Einheit ein, thematisieren auf spielerisch-leichte Weise die Themen Ölförderung und Naturausbeutung. "The Bride Stripped Vare by Her Energy's Evil" nennt die 39-jährige Künstlerin ihre Arbeit für "Zweite Welt", die zentrale Ausstellung im "steirischen herbst", der heute, Freitag, in Graz eröffnet wird.Erdachtes und Ersehntes "herbst"-Intendantin Veronica Kaup-Hasler hat heuer das kroatische Kuratorinnenkollektiv "What, How & for Whom" (WHW) eingeladen, über Geschehnisse aus parallelen, erdachten, ersehnten Welten zu berichten. Für die Arbeiten der 15 eingeladenen Kunstschaffenden hat man sich in der Galerie Zimmermann Kratochwill eingemietet, die vor allem mit einem stimmungsvollen, reich verzweigten Kellersystem überrascht. Noch im klassischen "White Cube" des Betriebssystems Kunst empfängt die israelische Künstlerin Yael Bartana mit ihrem "Propagandaraum" für das Projekt "The Jewish Renaissance Movement in Poland". Wie auch im polnischen Pavillon auf der diesjährigen Biennale in Venedig wirbt Bartana via Video für die (utopische) Rückkehr von 3.300.000 Juden nach Polen: "Wir brauchen euch!" Der Künstlerin geht es um Bewusstmachung von Themen wie Zionismus, Antisemitismus, Nationalismus und Holocaust, die radikalen Forderungen zielen darauf ab, die Bereitschaft, den anderen zu akzeptieren, zu erhöhen.

   Auf den Hund gekommen zu sein scheint indessen der armenische Künstler Ruben Grigoryan. In seiner Gemäldeserie "Terra Nova" werden Menschen in Alltagsszenen, etwa bei Umarmungen, durch Darstellungen von Vierbeinern ersetzt. Was jenseits der auf den ersten Blick humorvoll-surrealen Szenerien zum Ausdruck kommt, ist eine fast schon melancholische Ausgesetztheit der Spezies Mensch.

   Subjektive wie kollektive Spurensuche betreibt die palästinensische Künstlerin Jumana Emil Abboud, wenn diese unter anderem den Gebetsschleier ihrer Großmutter fotografiert und ausstellt. Auch in filigranen Wachsarbeiten geht es um Gedächtnis und Erinnerung, um gesellschaftliche Veränderungen in Palästina, um den Dialog zwischen unterschiedlichen Welten.

   Von gescheiterten Hoffnungen sowie unterschiedlichen Dissonanzen, die sich in ein klassisches Arbeiterkampflied mengen können, berichtet der kroatische Künstler Nemanja Cvijanovic. Die über eine Spieluhr erklingende "Internationale" wird über Lautsprecher in etliche Innen- und Außenräume übertragen. Doch der Aufruf zur Einheit vermengt sich mit Umgebungsgeräuschen. Cvijanovic versteht die interaktive Klanginstallation als "Monument to the Memory of the Idea of the Internationale". Das reizvolle Zappen zwischen den Realitäten ist bis zum 16. Oktober möglich.

Martin Behr
wukonig.com