Kleine Zeitung - 23.09.2011

Lücken, Limits, Lutscher

Heute Abend wird der ,,steirische herbst„ eröffnet. Wir sprachen mit Intendantin Veronica Kaup-Hasler über das Profil des Festivals, Albträume und Dinge, die sie zum Schreien findet.



Frau Intendantin, so knapp vorm Start zu Ihrem anstrengenden Festival müssen wir natürlich einen kleinen Gesundheitscheck machen: Blutdruck?

VERONICA KAUP-HASLER(stellt mit kecken Augen ihre Kaffeetasse wieder ab): Hab‚ ich länger nicht gemessen, aber ich denke, gut. Die Freude steigt, das Tempo auch.

Herzfrequenz?

KAUP-HASLER: Ich habe mich entschlossen, einmal die Woche zum Yoga zu gehen, meine Dramaturgen haben mir einen Gutschein geschenkt. Um 8 Uhr morgens schneide ich mir dafür eineinhalb Stunden aus dem Kalender. Seinerzeit als Studentin konnte man sich das ja gar nicht vorstellen, aber das hat sich transformiert, durch meine zwei Kinder bin ich zur Frühaufsteherin geworden.

Schlafmangel, Schlaflosigkeit?

KAUP-HASLER: Gibt‚s schon zwischendurch, es dauert oft lang, bis ich runterkomme. Der Kopf arbeitet halt weiter, aber positiv.

"Zweite Welten" heißt es diesmal im steirischen herbst: Wie kommt man auf so ein Festivalmotto? Sitzt die Intendantin grübelnd an der Mur und denkt: Teufel, was mach‚ ich denn heuer?

KAUP-HASLER: Man sitzt natürlich nicht allein, sondern mit Dramaturgen und Beiräten, und nicht an der Mur, sondern am Arbeitstisch. Gemeinsam fragen wir uns: Welche relevanten Themen zu Kultur und Gesellschaft liegen in der Luft? Die Klammer zwischen diesen beiden Punkten ist uns immens wichtig. Dann steckt man das Spielfeld ab und führt intensive Vorgespräche mit den vielen verschiedenen Mitveranstaltern. In der bildenden Kunst ist heuer besonders schön zu sehen, wie unterschiedlich unser Motto gelesen wird. Da geht es unter anderem um die politische Benutzung der Folklore, um Heimliches und Unheimliches in der Popkultur oder verschleierte Parallelsysteme der Macht, und doch bilden die einzelnen Projekte quasi eine große Ausstellung.

Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann erklärte uns seine Art der Spielplan-Erstellung mit dem Tetris-Computerspiel, bei dem man herabfallende Bausteine lückenlos zu einem großen Ganzen fügen muss. Wie funktioniert denn das bei Ihnen?

KAUP-HASLER: Für mich wäre das ein falsches Bild. Das Programm soll keine festgefügte Mauer sein. So wie im Leben, in der Gesellschaft, sind auch in der Kunst Lücken oder offene Fragen das Spannende. Ich sehe unser Festival eher wie eine molekulare Struktur aufgebaut.

Sie haben sehr lange Vorlaufzeiten in der Organisation und müssen bei manchen Künstlern oft jahrelang "ansitzen", wie bei der weltweit gefragten Choreographin Anne Teresa De Keersmaeker, die heute mit ihrem Tanzstück "Cesena" den steirischen herbst eröffnet. Wird man da manchmal mürbe?

KAUP-HASLER: Ich gebe nur auf, wenn die Kommunikation einfach gar nicht funktioniert oder mich der Künstler in der Zwischenzeit nicht mehr interessiert. Es gibt ja auch Großartiges am Älterwerden, nämlich dass man besser wahrgenommen wird: Als Jungspund in der Dramaturgie der Wiener Festwochen tat ich mir natürlich weit schwerer, auf Augenhöhe zu agieren, als heute als Intendantin eines angesehenen Festivals.

Sie betonen immer wieder, dass Sie den herbst nicht bloß als Abspielstation für internationale Projekte sehen, sondern als selbst produzierendes Festival. Wie schwierig ist denn die Erfüllung dieser Selbstauflage bei immer schmäler werdenden Geldbörsen?

KAUP-HASLER: Wenn wir international nicht so vernetzt wären, wäre unsere Produktionskraft nicht zu halten. Es ist unser Qualitätsmerkmal, Produktionen erstmals zu zeigen, zumindest im deutschen Sprachraum. Dieses Profil wollen wir unbedingt aufrecht erhalten. Und die eigenen Budgeteinbußen zwingen uns, das Sponsoring nochmals mit großer Anstrengung zu steigern.

Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, Ihr Festival zu kürzen, zu komprimieren.

KAUP-HASLER: Bei unseren hoch aktiven Lokalpartnern haben wir bewusst nicht gekürzt, sonst ginge eine Lawine los – denen gegenüber sehen wir uns auch als Brückenbauer und Ermunterer, sie wollen wir im Dialog immer wieder neu herausfordern. Seit meiner Intendanz haben wir das Festival ohnehin eine Woche gekürzt. Wir sind auch – mit Ausnahme des Pavelhauses – nicht mehr auf dem Land präsent, was ich dezidiert bedauere, aber der Schritt war logistisch und finanziell notwendig zugunsten einer Konzentration. Zudem gibt es ja mittlerweile auch das Festival "regionale", das zumindest anfangs finanziell ungleich besser ausgestattet war als wir.

Und das Fehlen des größeren Musiktheaters . . . ?

KAUP-HASLER: . . . ist sehr bedauerlich. Aber das resultiert nicht aus der Ignoranz diesem Genre gegenüber, es kostet nur de facto am allermeisten. Eine zeitgenössische Oper fordert samt Kompositionsauftrag und Proben einen ungeheuren Aufwand und kostet immer mehr als – sagen wir - eine "Traviata", die mit weniger Anstrengung wieder ins Repertoire geholt werden kann. Es gibt zwar genug österreichische und internationale Talente, aber bei Produktionskosten von einer Million Euro müssten wir unser gesamtes Performance- und Tanzprogramm weglassen. Zudem gibt es im Musiktheaterbereich so wenige internationale Festivals, die kooperieren können oder wollen – wie die Ruhrtriennale, die das gar nicht notwendig hat. Die eingeschränkten Möglichkeiten haben aber auch ihr Positives. So hat es uns hingetrieben zu innovativeren Formaten, im Vorjahr zum Beispiel zu Bernhard Langs "Maschinenhalle#1" mit den Automatenklavieren.

Not macht also auch den herbst erfinderisch?

KAUP-HASLER: Ja, aus Armut ist schöpferische Energie zu ziehen, aber auch das hat natürlich ein Limit. Ich will nicht von warmen Eislutschern träumen, mich nicht in Sparszenarien vergeuden, sondern weiterhin realistisch sein. Andererseits wollen wir der Politik schon klarmachen, wie gut wir mit Geld umgehen, das haben auch der Rechnungshof und die Wirtschaftsprüfer bestätigt.

Es gibt seit Jahren keinen gültigen Vertrag zwischen dem steirischen herbst und dem Land Steiermark als Eigentümer. Ein unerträglicher Schwebezustand, oder?

KAUP-HASLER: Wie beantwortet man so eine Frage ohne Tourette-Syndrom?

Schreien Sie ruhig, auf Zeitungspapier hört man das eh nicht!

KAUP-HASLER: Durch die Wahlen gab es ja diese unglückliche Verkettung von Personalrochaden im Kulturressort. Für die Budgetprovisorien kann der jetzige Kulturlandesrat nichts, dennoch hätte ein längerfristiger Vertrag in weiser Voraussicht schon viel früher abgeschlossen werden können. Der jetzige Zustand ist jedenfalls kein Zustand, das weiß auch die Politik und ist gewillt, im Frühjahr Taten zu setzen. Hoffentlich zukunftsweisende.

Im heurigen herbst-Laden kann man bei der rumänischen Künstlertruppe Apparatus 22 seine Albträume deponieren. Welchen Albtraum würden Sie denn dort – oder überhaupt – gern loswerden?

KAUP-HASLER: Den Zusammenbruch der europäischen Gesellschaft, weil die Entsolidarisierung innerhalb der EU – bei aller Problematik und notwendigen Kritik – höchst bedenklich ist. Vor zehn Jahren hätte sich keiner träumen lassen, in welcher Weise jetzt über die EU gesprochen wird. Ein weiterer Albtraum ist das Erstarken des Populismus und dass politische Parteien anderer Couleurs so wenig entgegenzusetzen haben.

Veronica Kaup-Hasler, geboren 1968 in Dresden, ihre Familie übersiedelte 1970 nach Wien.
Studium: Theater- und Politikwissenschaft, Germanistik.
Dramaturgin (Burgtheater, Festwochen Wien, Salzburger Festspiele), Leiterin des Festivals Theaterformen Hannover. Intendantin des steirischen herbsts seit 2006, bis 2014.

INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA
wukonig.com