Kronen Zeitung - 08.10.2011

Gefährlich imposantes Spielzeug

"musikprotokoll" des ORF im "steirischen herbst": Eröffnung mit "CineChamber"



Das "musikprotokoll" 2011 präsentierte im Grazer Dom im Berg die "CineChamber", eine von Leinwänden und Lautsprechern umgebene Plattform für audiovisuelle Surround-Performances. Fünf Live-Uraufführungen teilten sich die von den Recombinant Media Labs in den USA entwickelte High-Tech-Spielwiese.

"CineChamber"-Entwickler Naut Humon (USA) und "musikprotokoll"-Programmiererin Susanna Niedermayr führten durch ein wegen technischer Pannen gekürztes Programm, das dennoch die mannigfaltige Bespielbarkeit dieses Raumes anschaulich dokumentierte.

Konkretes und Abstraktes, Sehen, Hören und Raumwahrnehmung bündelten sich zu völlig unterschiedlichen Gesamtpaketen. Dabei muss das an sich faszinierende Genre der Surround-Performance höllisch aufpassen, weder in seichte Sensationslust noch in technokratische Langeweile zu kippen. Denn das Rundum-Kino mit der mächtigen Surround-Soundanlage ist ein imposantes und daher für die künstlerische Substanz gefährliches Spielzeug.

Am wenigsten ließ sich davon der Niederländer Edwin van der Heide beeindrucken. Sein Stück "DLSE1" koppelte flackernde und raffiniert bewegte Farbtapeten an mächtige Sinustöne in allen Lagen, die im dreidimensionalen Klangbild faszinierende Interferenzen produzierten. Trotz schmerzhafter Lautstärke ein angenehmes Sinneserlebnis, eine glückselige Welt von Schwebungen und Obertönen. Hier gelang wohl die an diesem Abend konsequenteste Verknüpfung von Bild und Ton - musikalisch so konkret wie visuell abstrakt.

Die anderen Live-Produktionen rangen stärker mit staunender Beliebigkeit, waren dafür mitunter auch humorvoller. Werner Dafeldecker & Lawrence English fingen antarktische Schnee- und Eiswelten in herrlichen Panoramabildern ein und untermalten diese mit elektronischen Klangstürmen; Naut Humon zeigte albtraumhafte Collagen von Filmsequenzen des österreichischen Regisseurs Peter Tscherkassky. Das Duo "pita & jade" ließ weiße und blaue Lichtkreise zu rhythmischem Noise tanzen. Vielschichtiger und lebendiger war der Rausch- und Klangteppich, den das Quartett "subshrubs" subtil mit grafisch klugen Schwarzweiß-Stimmungen korrespondieren ließ.Matthias WagnerDas Eröffnungsprogramm und zahlreiche weitere, von internationalen Künstlern geschaffene Archivstücke für die "CineChamber" sind noch am Samstag und am Sonntag jeweils von 14 bis 18 Uhr im Dom im Berg zu erleben.


Matthias Wagner
wukonig.com