Die Presse - 25.09.2011

Die Avantgarde ist keine Geisterbahn!

Der Steirische Herbst steht heuer unter dem Motto: >Zweite Welten<. Es geht um Utopie, um Alternativen. Die meisten Künstler beschäftigen sich indes mit Bedrohungen und versäumten Gelegenheiten.



Man kann an der Kunst scheitern. Auch dann, wenn man nur Publikum ist: Im Hotel Mariahilf, mitten im Festivaldistrikt, empfängt den Besucher eine intime Installation von Hans Rosenström. Der Besucher wird gebeten, Zimmer 113 zu betreten, bleibt dort allein zurück zwischen Tisch und Bett und sieben Spiegeln. Ein Kopfhörer baumelt von der Decke. Aber es ist nichts zu hören. Man geht herum, probiert noch einmal den Kopfhörer aus - immer noch nichts. Was soll das sein? Ein Test, was man mit fünf Minuten Zeit für sich allein anzufangen weiß? Wird hier überprüft, wie dreist man ist? Ob man es wagt, sich ins gemachte Bett zu legen?

Aber nein, ein wenig dreister hätte ich schon sein sollen: Der Kopfhörer geht erst in Betrieb, wenn man sich niedergesetzt hat, erfahre ich. Tatsächlich, jetzt sind sie deutlich zu vernehmen: knarrende Geräusche, näherkommende Schritte, aber wenn man sich umdreht: nichts! Ein Phänomen, das uns im nahe gelegenen Medienturm in der Ausstellung "Haunting - Unheimliche Präsenz in Medien, Kunst und Pop" wieder begegnet. Da sind doch trippelnde Füßchen?! Im Programmheft steht Näheres: Es sind Ratten, aufgenommen von Carl Michael von Hausswolff. Alles sehr spooky.

Stimmen aus dem Jenseits. "Das hier ist keine Geisterbahn", betonen die Kuratoren der Schau. Aber ein bisschen was hat es schon davon: In einem Kabinett kann man die Stimmen der Toten hören, angeblich sogar die von Majakowski und Churchill. In einem weiteren Raum murmelt ein Totentisch vor sich hin - es sind die Stimmen zweier Schiffer bei der Überfahrt, Anspielung auf den Styx. Andere Arbeiten treiben ein raffinierteres Spiel mit dem Bedrohlichen: In "Heim" hat Claudia Larcher ihr Elternhaus abgefilmt - von der Küche bis zum Schlafzimmer (wo ein Gewehr lehnt!), vom Dachboden bis zum Keller. Eine wunderbare Arbeit, die im Heimeligen das Unheimliche sucht und findet.

"Das hier ist keine Geisterbahn!". Das betont - Zufall? - nicht nur der Kurator von "Haunting", sondern auch eine Besucherin der Ausstellung "Zweite Welt" (Galerie Zimmermann Kratochwill), wo in desolaten Kellerabteilen die "Internationale" ertönt, allerdings nur, wenn in einem anderen Raum an der Minidrehorgel gedreht wird. Und wenn wir schon dabei sind: Auch die Installation von Apparatus könnte man sich im Wurstelprater vorstellen. Hier, im Laden des Festivalbezirks, kann man zwischen jeder Menge Filz und Fell seine Alpträume erzählen - und angeblich loswerden. Dafür gibt es indianisch anmutende Talismane.

Achtung, Riesenfalle. Das Thema also: Bedrohungen jeder Art. In der Ausstellung "abgehoben" (rotor) findet sich der Besucher unter einer riesigen Holzkiste wieder, die auf einer Seite nur von einem Ast gestützt wird. Wenn dieser Ast kippt, schnappt die Falle zu. "Catching Big Birds", so der Titel der Arbeit von Elvedin Klacar, soll an die Tatsache erinnern, dass diese Gesellschaft sich in einer gefährlichen Situation befindet: Irgendwann gibt es vielleicht keinen Ausweg mehr. Irgendwann ist es vielleicht zu spät.

Dieser Steirische Herbst, so Veronica Kaup-Hasler, die Intendantin des Avantgarde-Festivals, steht unter dem Motto "Zweite Welten" - und das bedeute auch, nach Alternativen zu suchen. "Es muss etwas anderes geben, das wir als Möglichkeit, als Alternative, als Option, Utopie befragen oder beschwören können", sagt sie. Viel verlangt. Hoch gepokert. Vielleicht zu hoch. Die Künstler beschäftigen sich jedenfalls vor allem mit gescheiterten Utopien (die "Internationale"!), mit den Hypotheken der Vergangenheit, mit Bedrohungsszenarien: Mitten in einem großen Wandbild von Katrin Plavcak prangt ein Ölfleck. Rundherum sind Bad Banks, Zombie-Welten, Mutantenpflanzen und ein Castor-Land eingezeichnet. Konkreter, damit aber weit bedrohlicher als das eher täppische Wandgemälde: die "pragmatische Aktion" einer anonymen Gruppe. Auch ihre Arbeit ist spooky, aber der Spuk ist real. Sie hat den Plan einer etwas anderen "Underground" entworfen: Jede Station steht für eine rechte Institution oder Gruppe in Graz.

Trotz aller Aufforderung: Diese Kunst recherchiert mehr, als sie träumt; sie sieht in die Vergangenheit, und zwar auch dann, wenn sie wie Peter Weibel im Artelier Contemporary mit dem iPad arbeitet: Die App enthält hunderte Hinweise auf Kriege, Massaker, Völkermorde. Je nachdem, wie man das Gerät hält, wird man mit einem anderen Blutbad konfrontiert. Boxer-Rebellion China, 42.000 Tote. Zweiter Kongo-Krieg, fünf Mio. Tote. Das war das 20. Jahrhundert. Und jetzt?

Christian Jankowski spielt in seiner zum Brüllen komischen Arbeit "The Holy Artwork" - zu sehen in der Schau "Irrealigious!" im Kulturzentrum bei den Minoriten - auf das Dilemma der Kunst an. Sein Video zeigt einen Fernsehprediger: In Untertiteln vergleicht der Prediger Gott mit einem Kunstwerk, Jesus mit einem Pinsel und erklärt, dass die Menschen erschaffen wurden, weil jedes Kunstwerk auch einen Betrachter braucht. Dazwischen lobt der Prediger Christian Jankowskis Werke. Ja, die Kunst und Gott. Manchmal verlangen wir ganz schön viel.

Bettina Steiner
wukonig.com