www.gat.st - 14.09.2011

Strikt Distrikt! – Im Zentrum des Steirischen Herbst



Waren es in den Jahren zuvor ein Zelt auf dem Karmeliterplatz oder eine Palettenarena am Forum Stadtpark, so erklärt der Steirische Herbst heuer die Mariahilferstraße zum Festivaldistrikt.

In schon bekannter, statistisch anmutender Formulierung weist die Festivalleitung ihre diesjährige Zentrale in Prozentanteilen mit 25% Großstadt, 25% Kleinstadt, 25% Tag und 25% Nacht aus. Eine Tautologie nach dem bewährten Verfahren Daumen x Pi, die aber auch gleich alle Funktionsebenen erfasst.
Möglicherweise einer Tendenz folgend, nach der immer öfter Kunst im öffentlichen Raum stattfindet, wurde die Künstlerin und Architektin Maruša Sagadin (geb. 1978 in Ljubljana) mit Konzipierung und Ausführung des Festivaldistrikts beauftragt. Der soll für die Dauer vom 23. September bis zum 16. Oktober Stadt in der Stadt sein. Während eines Rundgangs noch vor Beginn der Aufbauten erklärt die Künstlerin den ironischen Ansatz ihres Entwurfs mit dem latenten Anspruch der Stadt Graz, großstädtisch erscheinen zu wollen, wo selbstbewusster Umgang mit Struktur und Bestand ihres Erachtens wohl zielführender sein könnten. Erste Maßnahme einer Simulation von Großstadt also: optische und durch Objekte geschaffene „Verdichtung“. Im etwa 80 Meter langen Bereich der Mariahilferstraße, zwischen Kunsthaus und Tag.werk wird eine Konstruktion aus Eternitplatten zum markant verbindenden „Band“, das als Sitzgelegenheit, Tisch oder Tribüne genutzt werden kann, das Raum in der Fußgängerzone (weg)nimmt und ein Angebot für Graffitimaler darstellt. Das „Band“ bezeichnet jedenfalls auch, sagt Sagadin, die reichlich verzweifelt wirkenden Versuche der örtlichen Designbeauftragten, die Stadt zu möblieren. Sagadins Spiel um die Großmannssucht dürfte in der Umsetzung eher einer Ansicht aus der einst beliebten Kinderfernseh-Reihe „Wir blättern im Bilderbuch“ nahe kommen. So werden bestehende Fassadenaufschriften wie Hotel Mariahilf oder Mohrenwirt nach handschriftlicher Vorlage überdimensioniert nochmals an die Fassaden geklebt; damit man’s nicht übersieht, wird dort WIRT stehen, HOTEL und BAR. Große Städte haben Clubs. Einer wird im Space04 des Kunsthauses eingerichtet. Die rumänische Künstlergruppe Apparatus 22 richtet den Distrikt-LADEN ein und bietet Mittel gegen Albträume an. Michikazu Matsune aus Japan betreibt sein TOURIST OFFICE. Das Hotel Mariahilf ist Künstlerunterkunft, die zugehörige Bauernstub’n Gold’nes Roß wird zur BAR umfunktioniert und im Zimmer 113 werden Performances gegeben und Minibar-Partys geschmissen.

Stadtentwicklungstechnisch gibt man sich in der Mariahilferstraße kosmopolitisch. Nachdem man auch hier die voranschreitende Gentrifikation verzeichnen kann, wird das Areal gleich als Gated Community angelegt, aber ebenso – weil selbstverständlich frei zugänglich – konterkariert. An den Rändern werden Tore aus Schriftzeichen aufgestellt, die Besucher zu Ordnung und Ruhe angehalten: SILENCE. Andere bieten Orientierungshilfen durch den Großstadtdschungel mit OFF, END und ONLY. Unsere kleine Stadt also – jetzt wirklich ganz groß!
Wenzel Mracek
wukonig.com