Kronen Zeitung - 25.09.2011

Der lange Weg der Erleuchtung



Heuer im Juli wurde "Cesena" von Anne Teresa De Keersmaeker in Avignon uraufgeführt. In der List-Halle verschmelzen die Tänzer der Compagnie Rosas und die Sänger von Graindelavoix.

   Auch in dieser Produktion greift die Star-Choreografin auf die "Ars Subtilior" aus dem 14. Jahrhundert zurück und hat in Björn Schmelzer vom Vokalensemble Graindelavoix einen kongenialen Partner gefunden. In Graz, wo die Indoor-Version zu sehen war, fehlt die Magie des Papstpalastes von Avignon, wo das Werk uraufgeführt wurde. Aber der geschlossene Raum lässt eine schärfere Akzentuierung zu. Das Cesena-Massaker von 1377, das als inhaltliche Klammer dient, ist stärker spürbar.

   Wenn sich Tänzer und Sänger aus dem Dunkel schälen, oft nur schemenhaft erkennbar sind, aber das Tappen ihrer Schritte und das Schleifen ihrer Körper auf Sand den Rhythmus vorgeben, dann hat das viel Beklemmendes. Faszinierend ist das Ineinandergreifen von Gesang und Tanz; da entpuppen sich die grandiosen Vokalisten von Graindelavoix als Bewegungstalente, zeigen die famosen Tänzer der Compagnie Rosas ihre gesanglichen Qualitäten. Dass sich choreografisch manches wiederholt, liegt in der Natur der Sache - auch Geschichte ist redundant.

   Und so sind Mord, Leid, aber auch Hoffnung so viel mehr als nur eine Erinnerung an das 14. Jahrhundert. Der Weg zur Erleuchtung ist lange - das wird auch bei den 100 Minuten in der List-Halle spürbar; und nicht alle im Publikum wollen ihn bis zum Ende gehen. Schade eigentlich!

Michaela Reichart
wukonig.com