Falter - 21.09.2011

Alles hat seine Grenzen

Die Aktivitäten im Festivaldistrikt des steirischen herbst sind nur etwas für mutige Besucher



Wenn diese Woche der steirische herbst in der Gegend hinter dem Kunsthaus seinen Festivaldistrikt ausruft, fügt er der Geschichte künstlerischer Landnahme ein neues Kapitel hinzu. Während das Festival in den letzten beiden Jahren Kulturinstitutionen, zuerst das Orpheum und dann das Forum Stadtpark, mit auffälligen baulichen Maßnahmen zum Festivalzentrum adelte und dabei eher in die Höhe ging, geht es nun im Bezirk Lend in die Breite.

Schreitet man die Mariahilferstraße vom Kunsthaus bis zum Mariahilferplatz ab und behält dabei die Seitengassen im Auge, dann hat man den Distrikt erschlossen. Und weil ohne Grenzen auf dieser Welt rein gar nichts funktioniert, hat sich die Künstlerin Maru˚a Sagadin überlegt, wie man mit künstlerischer Intervention dem "Städtchen in der Stadt„ seine Grenzen gibt, dabei aber auf Zöllner und Schlagbalken verzichtet. Sie hat ausladend dimensionierte Leuchtschriften entworfen, die dem Festivaldistrikt nicht nur seine Corporate Identity verleihen, sondern auch für Abgrenzung sorgen werden. Sagadin: "Die Leuchtschriften markieren nicht nur die wichtigen Orte innerhalb des Distrikts, sie fungieren an den Außengrenzen gewissermaßen als Tore.„ Besucher werden von Leuchtschrift-Schlagworten wie "Silence„ oder "No Go„ darauf hingewiesen, dass sie eine künstlerische Sperrzone betreten. Die gebürtige Slowenin, die heute in Wien lebt, hat darüber hinaus ein, wie sie es nennt, "Tischband„ entworfen - eine skulpturartige Tisch-Bank-Hybride-, das sich über 50 Meter entlang einer Seite der Mariahilferstraße zieht. Und wie bei Franz West und seinen "Passstücken„ gilt: Benutzung erlaubt!

Herz und Seele des Distrikts ist das Hotel Mariahilf. Dort findet sich nicht nur die herbstbar, ein Info- und Kartenbüro oder der Frühstückssaal, der auch als Kino fungieren wird, sondern auch das Zimmer 113. Ein Hotelzimmer, das während dem herbst zum Performanceort umfunktioniert wird. Ein weiterer wichtiger Ort ist der sogenannte Laden. Wo ansonsten das tag.werk Waren feilbietet, wurde ebenfalls Platz für Performances und Kunstaktionen freigeschaufelt. Der space 04 des Kunsthauses wird zum Club, dort werden etwa die Noise-Rocker Screaming Females (US) gastieren oder eine Konzertreihe für elektronische Musik über die Bühne gehen. Und unter anderem beim Mohrenwirt oder im Café Centraal, beide in der Mariahilferstraße, kann man während der Festivalzeit herbst-Gerichte verdrücken.

Wenn also Sagadin die äußere Form des Distrikts definiert hat, so war die herbst-Dramaturgin Kira Kirsch für die Befüllung mit Inhalt verantwortlich. Das Hotel, der Laden, der Club, die Bar und das Zimmer 113 werden mit Performances, Installationen, Kunstaktionen, Konzerten oder DJ-Lines dauerbespielt. Natürlich ist man jederzeit willkommen, dass aber jede Gemeinschaft auch immer über Abschottung funktioniert, darauf weist die gebürtige Deutsche hin: "Der Begriff ist nicht nur positiv konnotiert, da gibt es immer eine Ambivalenz. Man muss eine Schwelle überschreiten, um drinnen zu sein, damit spielen wir.„ Zwar dürfte es einem noch leichtfallen, an den Leuchtschriften vorbeizumarschieren und den Distrikt zu betreten, wenn man aber etwa Ann Liv Young, eine US-amerikanische Performerin, im Zimmer 113 besuchen möchte, um sich eine halbe Stunde lang in einer Einzelsitzung von ihr therapieren zu lassen, braucht man schon, wie es im Programmheft heißt, "etwas Mumm„. Der ist auch nötig, um das rumänische Künstlerkollektiv Apparatus 22 zu besuchen. Wer von Albträumen geplagt wird, hat nächtens die Möglichkeit, das Kollektiv im Laden zu besuchen, seine bösen Träume zu erzählen und sich ein Voodoo-Amulett basteln zu lassen, das der Nachtmahr ein Ende bereitet. Eine intime Angelegenheit.

Sollten Sie nun das Programmheft aufschlagen und wissen wollen, was Sie bei den einzelnen Performances und Aktionen genau erwartet, wundern Sie sich nicht, wenn Sie nicht immer Klarheit erlangen. Überraschung! Nicht selten wird man zur Konfrontation mit sich selbst angehalten. Und das ist, wie man weiß, tatsächlich nur etwas für Mutige.

Tiz Schaffer
wukonig.com