Salzburger Nachrichten - 03.10.2011

steirischer herbst. Erlösung am Kreuz oder im Konsum?

steirischer herbst. Erlösung am Kreuz oder im Konsum? Das bizarre "Gólgota Picnic" von Rodrigo García stellt Fragen.



Erregung schon vor der Premiere: Vor dem Veranstaltungsort Orpheum demonstrierten Freitagabend ein Dutzend Katholiken, verteilten Flugblätter mit Zitaten von Sigmund Freud: "Abwesenheit von Scham ist ein sicheres Zeichen von Schwachsinn". Der Protest richtete sich an das Publikum von "Gólgota Picnic", einem als Provokationsakt angelegten Event des Bildertheaterexperten Rodrigo García. Der steirische herbst hatte die brachial-bizzare Annäherung an die Leidensgeschichte Jesu sowie die von Gewalt, Konsum und Oberflächlichkeiten geprägte Menschheitsgeschichte nach Graz geladen.

Die Bühne? Ein Teppich aus frischen 11.000 Burgern, die in der Folge betreten, zerquetscht, bespritzt und so ungenießbar werden. Dieser höhnische Kommentar in Sachen Welthunger und Neue Armut trägt vermutlich das größte Provokationspotenzial des Abends in sich. Was dann mit dem Satz "Wahrlich, ich sage euch, wer keinen Sinn für Humor hat, versteht das Leben nicht" beginnt, ist letztlich ein erstaunlich moralisierendes Lamentieren über Fehlentwicklungen der Spezies Mensch. In einer Art heiligem Furor machen die Akteure, die allmählich ihre Textilien ablegen, ihrem Zorn Luft. "Ich kann Euch die Techniken für einen Holocaust nicht beibringen: Das habt ihr bereits getan", ruft ein gefallener Engel. Die Theatersprache ist grell, aber nicht neu: Eine Kamera überträgt das Bühnengeschehen auf die Großbildleinwand, mit Berechnung etwa jenen aufreizenden Moment, in dem eine Darstellerin Sharon Stone aus dem Film "Basic Instinct" zitiert. Apropos Zitieren. Viel kunsthistorischen Fleiß beweisen die Spanier, wenn sie Erinnerungen unter anderem an Otto Mühl, Yves Kline, Paul McCarthy, La Fura dels Baus oder gelitin wecken. Hier wird Fleisch faschiert, da zwirbelt einer seine Schamhaare, dort mampft einer einen Burger und spuckt dann den Brei wieder aus. Jesus stirbt, das (etwas angestaubte) Theaterhochamt lebt.

Das orgiastische Picknick auf dem berühmten Hinrichtungshügel ist nicht blasphemisch; eher ein Sponti-Treff von Weltverbesserern. Rodrigo García, der Bilderwerfer: Pietà, Nitsch-Aktion, Grabtuch-Performance, die Grenzen sind fließend. Das Ausagieren im Fast-Food-Tempel macht müde und wenn die Truppe pausiert, tritt einer auf, der zuvor schon in McDonalds-Outfit das Weißmehlgebäck inspiziert hat: Marino Formenti. Der Pianist spielt Haydns "Sieben letzte Worte unseres Erlösers am Kreuze". Er tut es mit Bedacht, mit Passion und vor allem nackt. So wird auch sichtbar, wie die Musik die Muskeln des Pianisten fordert. Freilich: Auch Nacktheit am Klavier ist keine Novität. Sinnlicher Hörgenuss nach der turbulenten Party. Auf Chaos folgt Ruhe. Ist das die Lehre des Abends? Oder doch das, was der Text angedeutet: "Wenn du deinen Weg finden willst, dann weißt du ja: Für eine Handvoll Euros kannst du ein iPhone 4 mit Google Maps haben." Ja, ja. Wir sind allein auf der Welt, vaterseelenallein. Und Glück kann man kaufen.

Martin Behr
wukonig.com