Wiener Zeitung - 11.10.2011

Drei rasch notierte Texte mit Schmeicheltönen und Spaßfaktor

Bastelstube für Maulflotte



Wanderhilfen durch den Dschungel zeitgenössischer Parallelwelten suchte der "steirische herbst" mit drei Uraufführungen. Die Regentschaft der Dichter, deren Stücke im ganzen deutschen Sprachraum nachgespielt wurden – Wolfgang Bauer, Gerhard Roth, Helmut Eisendle, Ernst Jandl, El friede Jelinek etc. –, ist längst pas sé. Das Theater im "herbst" präsentiert sich als Bastelstube für kopflastige, maulflotte Kollektive.

Der Titel des Dreisäulen-Projekts "Welche Welt?" erlaubt Antworten von null bis unendlich. Die Perspektive der drei Autoren und Regisseure reichte von Graz bis Berlin. Und für das Damenduo Gerhild Steinbuch/Julie Pfleiderer sogar über den Theaterraum hinaus. "Sollten Sie sich verlaufen, gehen Sie bitte zu Paulustorgasse 7", rät die Notfallkarte, die man bei ihrem City Walk "Am schönsten ist was bereits verschwunden ist" mitbekommt.

Die Schmeicheltöne aus dem Kopfhörer schwellen an von der Werbung für Urban Feeling bis zur sarkastischen Überspitzung: "Die Ernennung von Graz zur Weltstadt war mehr als überfällig. Graz – eine Stadt zum Wohlfühlen." Der Wanderer wird durch ein abgewittertes Holztor in einen Garten entführt und endlich in einen Theatersaal zu einer Performance ironisch-sentimentaler Art mit einem Mann und einer Frau und einer Litanei über Liebe und Zuversicht. Viel Aufwand für unverbindlichen Behauptungsschaum, große Gefühle wie Liebe, Freundschaft, Gemeinschaft, Lebensqualität mit der Ironie-Zange dekonstruiert.

In "Wie wir es tun sollten„ im Theater am Lend, mit Johannes Schrettle als Mastermind der Gruppe "zweite liga für kunst und kultur", werden die Sperrholzwände der Bühne – eine zeigt als Ikone der Geldwirtschaft einen mit Überwachungskamera gesicherten Bankomaten – in eineinhalb Spielstunden abgetragen. Dekonstruktion mit Körperkraft zu einer Serie skurriler, gequält-witziger und quälend-notwendiger Selbstbeauftragungen: "Wir sollten einfach loslassen. Auch beim Sex. Wir sollten ein Freihandelsabkommen mit Nordkorea unterzeichnen. Wir sollten, wenn wir das Theater verlassen, uns nackt ausziehen und zum Hauptplatz marschieren und so ein Zeichen setzen gegen die Schönheitsideale der Werbeindustrie. Wir sollten nie so tun, als wüssten wir nicht, dass das Glaubenssystem und die Finanzsysteme um uns herum zusammenbrechen."

    Moralisierungsprogramm

Dieses ironische Moralisierungsprogramm gibt auch Anweisungen für Theaterpraxis ("laut sprechen") und ein Sündenbekenntnis: "Wir sind über die Bühne gegangen und haben uns so gelangweilt, dass auch die Zuschauer sich gelangweilt haben." "Wir fanden alles von Thomas Bernhard gut, weil die Faschisten es schlecht fanden." Vergänglichkeit, Beliebigkeit, Tristesse, Banalität in der Kunst wie im Leben, das in Alltagsbeobachtungen herbeigeredet wird. Bis zu den Fragen, "die die Kinder betreffen", "was wir danach tun werden" und "ob wir genug gemacht haben." Letzte Antwort: "Noch ist ein bisschen Zeit."

Die Gruppe "copy & waste" zieht mit "Die blauen Augen von Terence Hill" schon am 12. Oktober aus dem Grazer Opheum heim nach Berlin ins Hebbel-Theater. Graz kaufte das Recht der ersten Nacht. Jörg Albrecht (Text) und Steffen Klewar (Regie) stülpten eine bittere Satire auf die deutsche Sozialfürsorge über das satirische Genremuster der Italowestern mit Bud Spencer und Terence Hill.

Die Unwirklichkeitskunst Film, allgegenwärtig in Videoprojektionen, empfiehlt sich höhnisch als Jobbörse für neue Arme ohne Arbeit oder im Prekariat. Hartz-IV-Empfänger und korrupte Sozialamts-Gangster treiben in der Kulisse eines Hinterhofs reichlich Slapstick-Späße. Still wird es bei den Zitaten über Langzeitarbeitslosen-Elend aus der Erhebung von Jahoda-Lazarsfeld-Zeisel in Marienthal. (Nicht die Methodik, die Ergebnisse sind veraltet: Selbstwertverlust und Apathie wie 1933 wurden in einer Nachfolgestudie 1982 kaum mehr registriert.)

Die Bilanz: dreimal Ironie bis zum Hohn; rasch notierte Texte mit geringer Halbwertzeit; und Spaß, von dem niemand prophezeien mag, ob Erkenntniswert hängenbleibt.


Hans Haider
wukonig.com