fm4 online - 09.10.2011

Zerlegt das Set

Wie schaut das Theater junger AutorInnen aus, wenn sie mehr dürfen, als ihren Text abliefern?



JungautorInnen sind begehrt. Solange das Debüt druckfrisch und das nächste Stück in Auftrag ist. Neu ist der Hype um junge AutorInnen und um ihre Uraufführungen jedoch längst nicht mehr. Auch der "steirische herbst" hat dieses Jahr Aufträge an drei AutorInnen vergeben, die durchaus und gerne als jung bezeichnet werden: Gerhild Steinbuch, Jörg Albrecht und Johannes Schrettle sollten aber anders, als es im klassischen Theaterbetrieb Praxis ist, mehr dürfen als nur ihre Texte abzuliefern. Der "herbst" wollte von ihnen Stücke. Und die hat er bekommen.

"Was für Spiele wollen wir spielen, und welche Haltungen wollen wir einnehmen?", fragt sich der Autor und Theatermacher Johannes Schrettle. Die Konstruktion von Identitäten ist dann auch der kleinste gemeinsame Nenner der drei Stücke, der das Text- und Theaterprojekt "Welche Welt?" eint. Der Größte ist die finale Dekonstruktion der Bühnenbilder. Die Illusion ist uninteressant. Der Handlungsspielraum will gedehnt werden. Und das Scheitern daran wird als Option schon prophylaktisch eingeschlossen. Das könnte man feige nennen - oder realistisch.
Die Liebe zum Plot

Durch Hinterhöfe und Tiefgaragen führt Gerhild Steinbuchs Audiowalk "Am Schönsten ist das was bereits verschwunden ist", bevor das Ziel des Spaziergangs erreicht ist. Graz, "the Cowboy Capital of the World", ist Steinbuchs Ausgangspunkt. Aus dem Kopfhörer spricht eine männliche Stimme Marketingsätze - "Die gesunde Sauberkeit. Because freedom can't protect itself". Bedrohlich konkret wird die Vision der Stadtpolitik, die mit rigiden Vorschriften arbeitet, wenn sie real werden: von der Ordnungswache bis zum Verbot, Tauben zu füttern.

Von der Sehnsucht nach Ordnung und schönem Schein im öffentlichen Raum geht es zu den privaten Sehnsüchten. Durch ein großes Holztor komme ich über den Garten des Volkskundemuseums zur abschließenden Performance im Heimatsaal. Ein Showmaster mit Wolfsmaske spricht verzerrt, der alte Theatertrick der Ghost Machine doppelt die Aussage von "Am Schönsten ist das was bereits verschwunden ist".

Das Streben nach Authentizität hat reales Erleben längst überholt. "Diese Liebe für den Plot, die geht immer vorwärts." Wie in Platons Höllengleichnis sitzt der Mensch nun in der BlueBox und wird selbst zur leeren Leinwand. Düster und traurig ist Steinbuchs Text. Und "Bang Bang" manifestiert sich abermals, wie in "Heartbreaker", als der Song für unerfüllte Begehren.
Handlungsanweisungen

"Wir sollten gemeinsam Erfahrungen machen, statt Bilder zu malen", proklamiert ein Schauspieler im Stück "Wie wir es tun sollten" von Johannes Schrettle. Oder genau gesagt dem Stück der zweite liga für kunst und kultur, denn Johannes Schrettle versteht sich als Teil dieses Kollektivs. Wobei, "Der Tod des Autors ist jetzt auch schon ein halbes Jahrhundert vorbei", sagt Schrettle im Gespräch.

"Wir sollten die richtige Distanz finden."
"Wir sollten unseren Großeltern einen Griesbrei kochen und sagen: Bitte, iss das auf!"
"Wir sollten uns fragen, ob es nicht gefährlich ist, in der Öffentlichkeit nebeneinander zu sitzen."
"Wir sollten uns einmal um uns selbst drehen."
"Wir sollten zuhause ein Stechkartensystem installieren."

In "Wie wir es tun sollten" fügen sich Handlungsanweisungen als Statements zu einer Liturgie. Bis hin zur Aufforderung an das Publikum, jetzt gemeinsam eine Seite aus dem Buch zu lesen, das sich unter jedem Sitz befindet. Irgendwo vergraben findet sich eine Liebesgeschichte oder eine Suche nach einem verschollenen Freund, so genau lässt sich das nicht sagen. Das Buch "Wie wir es tun sollten" würde man gerne mit heim nehmen, doch verkauft wird es nicht. Das wollte Schrettle nicht. Vielleicht hätte man es einfach stehlen sollen.

Die Ansammlung von Anschauungen, Ängsten und Einsichten trifft ins Schwarze und unterhält zugleich hervorragend. "Wir, die noch immer glauben, mit einem kleinen Bauernhof autark leben zu können." Der feine Humor verhindert ein Abdriften ins Moralische.
Hartz IV für Bud Spencer

Noch eine Stufe drastischer führt Jörg Albrecht in "Die blauen Augen von Terrence Hill" eine Bestandsaufnahme einer Gesellschaft vor, die sich spaltet. Albrecht konzentriert sich auf das Thema Arbeitslosigkeit. Das scheußlichste verblichene Zitronengelb, das je eine Bühne gesehen hat, allein spricht Bände - das tun aber auch die Schauspieler.

Von einem Bühnenbild fallen die Darsteller in das nächste und von einer Ebene in die andere. Vom Set eines Bud Spencer-Films geht es in einen deutschen Themenpark und wieder zurück in den Jobcenter. Jörg Albrecht lebt in Berlin und hat "Die blauen Augen von Terence Hill" mit copy&waste erarbeitet. Beim herbst ist die Vorpremiere des Stücks zu sehen, doch das 2005 in Deutschland eingeführte Gesetz zu Hartz IV ist auch ÖsterreicherInnen vertraut. Jobcenter wurden eingerichtet, das Modell der Ich-AG als Ausweg aus Beschäftigungslosigkeit verkauft und Mini-Jobs vermittelt. Fallmanager schauen beim Aufprallen zu.

Das sind alles kluge Gedanken. Allerdings ein bisschen viel auf einmal. Konservativ wie ein Stadttheater mit "Kabale und Liebe" in jeder vierten Saison wünsche ich mir den Text, ausgedruckt zum Nachlesen.

Maria Motter
wukonig.com