Kleine Zeitung - 24.09.2011

Der tiefe Blick in Parallelwelten

Gestern Abend wurde in der List-Halle der steirische herbst 2011 eröffnet. Vier Wochen lang sollen sich in weit mehr als 100 Veranstaltungen neue, zweite Welten auftun.



Die milde Abendsonne und später der klare Sternenhimmel meinten es zum Auftakt gut und symbolreich mit dem steirischen herbst. Denn mehr denn je ist die Weitsicht gefragt, der Blick auf das Andere, noch Unbekannte, aber Entdeckbare.

   "Ermutigungen für den Möglichkeitssinn" betitelte demgemäß herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler ihre Eröffnungsrede nach der furiosen "Anrufung der Sonne" im Tanzstück von Teresa De Keersmaeker (Bericht nebenstehend). Sie berief sich dabei auf ein Zitat von Robert Musil, das sinngemäß lautet: Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, dann muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann.

   Vexierbild

   Veronica Kaup-Hasler führte diese These weiter: "Es muss etwas anderes geben, das wir als Möglichkeit, als Alternative, als Option, Utopie befragen oder beschwören können . . . Die viel beschworene "Alternativlosigkeit" darf nicht einfach als alternativlos hingenommen werden." Logische Reaktion – die Suche nach zweiten Welten.

   Diese "zweiten Welten", denen sich der steirische herbst in seinem Leitmotiv verschrieben hat, seien, so Kaup-Hasler, als Denkmodelle gedacht, "als Hebel für Paradigmenwechsel, die uns plötzlich die Dinge anders sehen lassen: Den Blick, die Parameter etwas verschoben und schon geraten die Dinge ins Rutschen."

   Es hänge daher auch vom Standpunkt und Fokus des Betrachters ab, wie sehr im Blick auf diese Welt andere Welten hervortreten, sicht- und lesbar werden – "wie bei einem Vexierbild von Arcimboldo, das Landschaft, Gesicht und eine Anhäufung von Lebensmitteln zugleich ist".

   Mit mehr als 100 Veranstaltungen und 13 Ausstellungen sei das Festival heuer "wieder einmal reich an sehr unterschiedlichen Weltentwürfen", betonte die Intendantin, wobei das diesjährige Festivalzentrum ja auch nicht nur als "Stadt in der Stadt", sondern als kleine Gegenwelt verstanden werden will und soll.

   Mit einigem Stolz verwies Kaup-Hasler darauf, dass es wieder gelungen sei, fast ausschließlich neue Arbeiten zu zeigen: "Wie immer mit großem Risiko – schließlich weiß man vorher nicht genau, wo der künstlerische Prozess hinführen wird. Aber wir müssen darauf bestehen, diese einzigartige Tradition des steirischen herbstes zu wahren: in allen Bereichen Kunst zu ermöglichen, zu produzieren und nicht nur vorzuführen." Die Möglichkeiten sind gegeben, möge sich der Sinn in den kommenden Wochen weisen.

UTE BAUMHACKL, FRIDO HÜTTER, WERNER KRAUSE, MICHAEL TSCHIDA
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