fm4 online - 06.10.2011

Hauntology

Suchen wir die Geister heim! Mit "Hauntings" begibt sich der steirische herbst tief in gespensterhafte Musikgefilde.



Gestern Abend hat der Autor Jörg Albrecht Werwölfe erweckt, obwohl der Mond noch alles andere als rund ist. Der steirische herbst lädt dieses Jahr in Zweite Welten. Ob im kleinen Zimmer 113 im Hotel Mariahilf mit gruseligen Klanginstallationen und Lesungen oder mit einer Zusammenkunft von Musikern, die eigensinnige Vorhaben betreiben. Heute Abend bewegt sich das Festival neuer Kunst in Graz noch tiefer in diese Gefilde: Mit "Hauntings" sucht man mit Künstlern Gespenster heim. Live und direkt dringt das Unbekannte ins Ohr. Ab und an taucht Vertrautes auf und driftet in die Ferne.

Kuratiert von Thomas Edlinger und Christian Höller, widmet sich die spezielle Musikreihe "Hauntings - Sonic Spectres" Gespenstern, Schatten und Wiedergängern in der Musik von heute. "Hauntings - Sonic Spectres" ist Teil des"musikprotokolls", das als Festivalplattform zeitgenössische und experimentelle Musik präsentiert.
Heraufbeschwören

So wird der britische Dubstep-Pionier Shackleton alles und jeden in dicke Bass-Wellen hüllen: Von Volksgruppen in afrikanischen Ländern entlehnte Perkussionrhythmen und verzerrte Sprachsamples fügt Shackleton zu seinen Skull Disco-Beats. Zwischendrin vermeint man, ein Telefon klingeln zu hören.

Ein musikalisches Tischerlrücken darf man sich nicht erwarten. "Hauntings" wird ungleich eindringlicher in Schallwelten führen, in denen sich Geister und Phantome tummeln. Setzt man die Zeitrechnung an, betreiben eine Handvoll Musiker seit fünf Jahren "Hauntology". Jeder für sich, versteht sich. Doch Musikjournalisten fassen diese obskuren Spielwiesen zwischen Sampledelica und Dub Noir zu einem Begriff.

"Hauntology" greift zurück auf die Ansichten des französischen Philosophen Jacques Derrida. Die Existenz der Menschen zu Anfang des 21. Jahrhunderts sei geprägt durch das Heraufbeschwören von Geistern der Vergangenheit. Darum hin zu den Musikmaschinen! Gespeist mit Sounds, die als Vintage durchgehen, und versehen mit Echos und Effekten, eröffnet "Hauntology" einen Referenzrahmen. Gespielt wird mit Vertrautem und Distanz.
Fridays, I'm with ghosts

Den Beginn macht Syed Kamran Ali mit seinen Harrapian Night Recordings. Seine indisch-pakistanische Vorfahrenschaft zieht den Briten zu Field Recordings, die ihm den Ruf eines Sampleschluckers mit schamanisch-betörenden Loops einbrachten.

In nostalgischer Melancholie schafft Leyland Kirby Ambient Drones und feiert sein Credo "Live for the future, long for the past". Dopplereffekt greifen dann direkt zurück in die Zukunft: Das deutsch-amerikanische Duo besteht schließlich aus Michaela Berthel und Gerald Donald, dessen Künstlernamen bereits Musikgeschichte schrieben. Mit Drexciya war er Detroit und Techno bis 2002 verbunden.

Zum Ende hin wird es noch einmal düster, böse und ganz schön alt. Vindicatrix kennt keine Berührungsängste. Disco, Schubert und Klagelieder - sein Debütalbum "Die Alten Bösen Lieder" eint Baritongesang und das Orchester aus dem Laptop. Als Krönung hat Vindicatrix für die Vertonung von Johann Gottfried von Herders "Edward"-Ballade die Geräusche startender Raumschifftriebwerke gefiltert. Na wumm.
In bewegten Bildern

Nicht zuletzt nimmt die Ausstellung "Hauntings - Ghost Box Media" die Suche nach den Gespenstern der Vergangenheit und nach ihrer heimlichen Anwesenheit in der Gegenwartskunst auf. Oder fragt nach ihrer unheimlichen Abwesenheit. Wie man es sehen will. Anschauen kann man sich "Hauntings" im Grazer Medienturm bei freiem Eintritt bis 19. November.

Um es mit den Worten der bezaubernden amerikanischen Ann Liv Young zu sagen: Don't be scared!
Ich bin mir sicher, Thomas Edlinger kann sämtliche auftauchende Fragen beantworten. Zum Beispiel im Anschluss an das Montagskino beim herbst, kommenden Montag. Be wise.

Maria Motter
wukonig.com