Kleine Zeitung - 27.09.2011

Wirbel um die Schädelstätte

"Gólgota Picnic" ist eine brachialpoetische Litanei über Leben und Tod, über Zweifler und Verzweifelte. Das Theaterprojekt im steirischen herbst hat schon vorab Nebendarsteller: die Erregten.



Rodrigo García zeigt "ein drastisches letztes Abendmahl auf einem Teppich von Hamburgern. Das bizarre Schlachtfeld des Konsums wird wohl etwas von dem Skandal liefern, nach dem unser Festival von Nostalgikern immer wieder gefragt wird", hatte Veronica Kaup-Hasler im Vorfeld versprochen.

Das Versprechen der herbst-Intendantin wird nun von anderen gehalten, deren Erregungskurve schon vor der Premiere am Freitag rapide steigt. Wie berichtet, hat die Wiener "Gesellschaft zum Schutz von Tradition" Siegfried Nagl, Franz Voves und Ministerin Claudia Schmied mit Mails bombardiert: In dem Drama werde "Unser Herr Jesus Christus als Terrorist dargestellt" und auch sonst stecke allerlei Blasphemie in "Gólgota Picnic".

Die Büros des Grazer Bürgermeisters und des Landeshauptmanns erhielten übers Wochenende jeweils mehr als 1000 Protest-Mails (auch aus Deutschland und der Schweiz), die Beschwerden über das "obszöne Theaterstück" landen nach Eingriff der IT-Abteilungen mittlerweile aber automatisch im Mistkübel.

Kaup-Hasler ortet eine konzertierte Aktion von erzkonservativen Kreisen, die die Arbeit der spanischen Truppe von Rodrigo García schon längere Zeit ungesehen aburteilen und verfolgen. Marino Formenti, der im Vorjahr mit einem Klaviermarathon beim herbst Aufsehen erregte und zu dieser Produktion nackt am Piano sitzend Joseph Haydns "Sieben letzte Worte unseres Erlösers am Kreuz" beiträgt, musste gar auf seinem Privathandy wüste SMS-Drohungen lesen.

   Fleischwolf & Flamenco

Rodrigo García ist bekannt für seine Bilderwucht und Wortflut. So macht der argentinisch-spanische Regisseur auch "Gólgota Picnic" zu einer brachialpoetischen Litanei über Leben und Tod, über Zweifler und Verzweifelte. Die rohe Theatersprache des 47-Jährigen, der früher als Gemüsehändler, Fleischhauer und Laufbursche werkte, mündet diesfalls auf einer Bühne voller Fast Food in eine Anklage gegen Werteverlust und Konsumterror. Im exzessiven Gelage lodern Feuer, schmatzen Fleischwölfe, tanzt der Flamenco über Semmeln und Hamburger, steigen und fallen Engel, die "ein paar Flügel passender Größe auf eBay suchen".

"Wahrlich, ich sage euch, wer keinen Sinn für Humor hat, versteht das Leben nicht", beginnt der "Text der Eintracht". Kraftprotz García bietet auf seiner bizarren Schädelstätte aber nicht bloßes Spektakel, sondern reißt Masken herunter: von Barbaren und Opportunisten, von Geizern und Geilen, von Waffenhändlern und Wahrheitsjongleuren. Von uns allen also. Und dazwischen hängt ein auch fehlbarer "Christus am Kreuz, Nägel, Blut und Wunden, die sich wie Fausthiebe in das Gehirn prägen, als ob Mike Tyson dich verprügeln würde".

In Garcías biblischem Zorn steckt jedenfalls immer auch die Sehnsucht nach Überlebensstrategien für die Ohnmächtigen. Oder, wie der Theaterberserker selbst sagt: "Wir werden sehen, wie wir uns so organisieren, dass wir in Frieden zusammenleben können." Ein Satz, der nur allzu gut in 1000 und mehr Mails passen würde.

MICHAEL TSCHIDA
wukonig.com